Die Stadtverwaltung Hannover führt derzeit eine sogenannte Online-Beteiligung zum Thema Wohnungslosigkeit durch. Zwar können wir die Grundidee, „die Vielfalt der Lebenslagen von wohnungslosen Menschen besser verstehen“ zu wollen, eindeutig begrüßen. Doch die Art und Weise, wie dies geschehen soll, sorgt bei uns für Unverständnis. Daher fühlten wir uns dazu veranlasst, gemeinsam mit dem Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit Hannover eine Pressemitteilung als Reaktion auf die Online-Umfrage zu veröffentlichen.
Intransparent und stigmatisierend
Armutstinkt und Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit kritisieren die Online-Umfrage der Stadt Hannover
Armutstinkt und Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit kritisieren die Online-Umfrage der Stadt Hannover
Eine Umfrage der Stadtverwaltung zum Thema Wohnungslosigkeit in Hannover, zwei völlig unterschiedliche Fragebögen – für Menschen mit festem Wohnsitz und Menschen ohne festen Wohnsitz. Nicht nur der Aufbau, auch die Inhalte der Umfrage und der fachliche Standard werfen Fragen und Kritik auf.
Grundlegend begrüßen wir die Initiative der Stadtverwaltung, sich mit Wohnungslosigkeit als sozial-politisches Thema vermehrt auf unterschiedlichen Ebenen auseinanderzusetzen und dabei Beteiligung an politischen Prozessen ermöglichen zu wollen – die Art und Weise der Umsetzung ist dabei jedoch nicht ausgereift.
Schon die ersten Fragen für wohnungshabende Menschen eröffnen stigmatisierende Tendenzen, die sich im Verlauf des Fragebogens weiter verfestigen. Die Frage, ob und wo wohnungslose Menschen im Stadtbild wahrgenommen werden, macht weis, man könne den wohnungslosen Menschen schon im Vorbeigehen erkennen. Diese Annahme lässt die jeweils unterschiedlichen Lebenssituationen völlig außer Acht.
Weitere negative Zuschreibungen erfahren wohnungslose Menschen bei der Frage, wie man als wohnungshabender Mensch ein Hilfsangebot für wohnungslose Menschen in der eigenen Nachbarschaft finden würde. Als Antwort wird vorgeschlagen: „Grundsätzlich gut, aber ich sorge mich um Probleme in der Nachbarschaft.“ Durch diese Antwortmöglichkeit werden diskriminierende Vorurteile (re)produziert, die den wohnungslosen Menschen als Störfaktor darstellen. Damit bleibt gänzlich unbeachtet, dass nicht der wohnungslose Mensch an sich ein Problem ist, sondern die (elendigen) Lebensverhältnisse, denen wohnungslose Menschen ausgesetzt sind, wie z. B. die kriminalisierende Drogenpolitik oder neoliberale Wohnungspolitik.
Die stigmatisierenden Tendenzen dieser Umfrage entfalten sich weiter, indem lediglich die wohnungshabenden Teilnehmenden nach ihrem ehrenamtlichen Engagement gefragt werden und dabei keine Beachtung findet, dass sich viele wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen selbst stark ehrenamtlich engagieren.
Diese inhaltliche Kritik bezieht sich zusammenfassend auf eine Umfrage, die die Vielfalt der Lebenslagen wohnungsloser Menschen besser verstehen möchte und dabei blind für die alltäglichen und strukturellen Stigmatisierungen zu sein scheint und diese gleichzeitig selbst hervorbringt.
Auch in Bezug auf den Aufbau und die Struktur der Umfrage ergeben sich einige Fragen: Während als Ziel der Umfrage benannt wird, „die Vielfalt der Lebenslagen wohnungsloser Menschen noch besser zu verstehen, um passgenaue Unterstützungsangebote entwickeln zu können“, bleibt unklar, welche Rolle die wohnungshabende Bevölkerung dabei tragen soll. So entsteht der Eindruck, dass in dieser Umfrage zu einem überwiegenden Anteil die wohnungshabende Mehrheitsbevölkerung definiert, wann und wo Wohnungslosigkeit ein Problem ist (etwa im tadellosen Stadtbild oder der ruhigen Nachbarschaft) und wie dieses gelöst werden soll (z. B. durch Kontrolle und Verdrängung von öffentlichen Plätzen).
Auch ist unklar, welche Absicht die Befragung nach dem ehrenamtlichen Engagement verfolgt, sodass sich uns die Frage stellt, ob diese Erhebung darauf abzielt, „passgenaue Unterstützungsangebote“ ehrenamtlich abzudecken, anstatt Angebote in einem sicheren und soliden Hilfesystem in sozialpolitischer Verantwortung zu etablieren.
Aufgrund des stigmatisierenden Charakters, all der offenen Fragen und der Widersprüche stellen wir den fachlichen Standard der Umfrage und die Verwertbarkeit der Erkenntnisse für zukünftige Planungen infrage.
Pressemitteilung als PDF
NP-Artikel zum Thema (Bezahlcontent)