Die Meldungen der letzten Tage versetzen uns in Trauer und Wut. Innerhalb von einem Tag sind zwei von Obdachlosigkeit betroffene Menschen auf den Straßen dieser Stadt gestorben. In Gedanken sind wir bei den Angehörigen und Freund*innen der Verstorbenen.
Auch wenn die kurze zeitliche Abfolge außergewöhnlich ist, gehören solche Meldungen zur Normalität in einer jeden deutschen Großstadt. Es sind Meldungen, die Teile der Zivilgesellschaft kurz aufhorchen lassen und schockieren, aber bereits nach wenigen Tagen wieder vergessen sind. So ist sie eben, die großstädtische Normalität. Es gibt Menschen, die auf der Straße leben, das Leben auf der Straße ist gefährlich, demnach sterben auch Menschen auf der Straße. Dieser simple kausale Zusammenhang, welcher den gesellschaftlichen Missständen folgt und Menschen ein unwürdiges Leben auf der Straße fristen lässt, wurde von den Wohnungshabenden viel zu lange akzeptiert.
Der Themenkomplex Wohnungs- und Obdachlosigkeit erhielt in Hannover in den letzten 15 Monaten aufgrund von öffentlichkeitswirksamen Aktionen vergleichsweise viel Aufmerksamkeit. Unkonventionelle Unterkünfte wurden geschaffen, Demonstrationen wurden abgehalten, wohnungslose Menschen haben gemeinsam mit Aktivist*innen kurzfristig ungenutzten Wohnraum besetzt. Und die Betroffenen von Wohnungs- und Obdachlosigkeit wurden in zwei Erhebungen zu ihren derzeitigen Lebensumständen und den Dingen, die sie brauchen, befragt.
Die gemeinsam von Betroffenen und Sozialarbeitenden partizipativ erstellte Studie von armutstinkt ergab, dass das Leben auf der Straße extrem gefährlich und sehr frustrierend ist. Erschreckende 23 % der obdachlosen Befragten gaben an, dass sie in den letzten 6 Monaten Opfer einer versuchten Tötung geworden seien. Des Weiteren ergab die Studie, dass lediglich 27 % der Befragten einen tatsächlichen Zugang zur medizinischen Regelversorgung haben. Demnach sind die Ereignisse der letzten Tage lediglich die grausame, aber logische Konsequenz aus den gesellschaftlichen Missständen, die wir alle mehr oder weniger stillschweigend mittragen.
Obdachlosigkeit tötet auf die eine oder andere Art. Trotz dieser Zustände auf der Straße meiden viele Betroffene die ordnungsrechtliche Unterbringung der Stadt Hannover – aus unterschiedlichen Gründen. Auch die große Unzufriedenheit der derzeit ordnungsrechtlich untergebrachten Menschen mit der materiellen und sozialen Infrastruktur in den Unterkünften konnte durch unsere Studie aufgezeigt werden.
Die von der Stadt erhobene Umfrage wiederum ergab – wenig überraschend – dass wohnungslose Menschen den Wunsch nach eigenem Wohnraum verspüren. 73 % gaben an, dass sie sich auf Wohnungssuche befinden und aus verschiedenen strukturellen Gründen (zu hohe Mietpreise, Schufa-Einträge oder Stigmatisierung durch Vermieter*innen) keinen eigenen Wohnraum anmieten können.
Die großstädtische Normalität in Hannover wurde also auf den Prüfstand gestellt – mit klaren Ergebnissen: Das Leben auf der Straße ist lebensbedrohlich, die Zustände in der ordnungsrechtlichen Unterbringung sind stark verbesserungswürdig und ein Großteil der Betroffenen möchte wieder zurück in eigenen Wohnraum.
Diesen Erkenntnissen müssen nun Taten folgen.
Wir fordern die Kommunalpolitik und die städtische Verwaltung auf, gemeinsam mit Betroffenen schnellstmöglich einen Plan zu erarbeiten, wie diese menschunwürdigen Verhältnisse behoben werden können. Die Bürger*innen dieser Stadt fordern wir auf, endlich laut zu werden und das Sterben auf unseren Straßen nicht länger zu tolerieren. Nur durch unser Schweigen und Wegsehen sind solche Zustände möglich.
Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass auch für Menschen, die nicht zurück in eine eigene Wohnung wollen, niedrigschwellige und sich an den individuellen Bedürfnissen der Person orientierende Lösungen für eine Wohnmöglichkeit gefunden werden müssen.
Damit in Zukunft niemand mehr in Hannover nachts auf einer einsamen Parkbank verbluten muss.