Dies ist ein Erfahrungsbericht aus der Sicht eines Sozialarbeitenden. Um die Anonymität der Beteiligten zu bewahren, haben wir die Namen geändert.
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Erfahrungsbericht Wohnungsamt
Di 31.3.2020
Am Dienstag, den 31.3.2020, bin ich im Auftrag von zwei Nutzern zum Fachbereich Unterbringung gegangen, um für sie bzw. mit ihnen eine Unterbringung zu erwirken, die bereits unter normalen Umständen dringend geboten ist. Insbesondere da beide Nutzer keine besonderen Ansprüche stellen, die über das medizinisch und/oder psychisch Notwendige hinausgehen. In Zeiten der Corona-Schutzmaßnahmen gilt dies noch verstärkt, da Menschen in prekären Verhältnissen eine soziale Distanzierung in ihrer Lage nicht möglich ist, sie als außerordentlich verletzliche Gruppe besonderer Flexibilität bedürften, so wie das Hilfesystem es für sich schließlich auch in Anspruch nimmt.
Die zwei Fälle im Einzelnen
Herr H. hatte mich gebeten, ihn bei seinem Ersuchen nach einer Zuweisung ins Wohnungsamt zu begleiten, da er zuvor die Erfahrung gemacht hatte, dass er sich nicht ernst genommen fühlt bzw. abschätzig behandelt wird. Nach seiner Aussage wurde ihm beim Bemühen um eine Einzelunterbringung eine Zuweisung in ein Mehrbettzimmer mit dem Hinweis angeboten, alternativ könne er ja auch auf der Straße schlafen.
Herr H. hat den begründeten Bedarf auf eine Einzelunterbringung glaubhaft dargelegt und belegt.
Exkurs
Herr H. ist psychisch stark belastet und hat infolgedessen eine anerkannte Schwerbehinderung (GdB 50). Dies lässt ihn eine Unterbringung in einem Mehrbettzimmer mit ebenfalls psychisch belasteten Menschen, Menschen mit Suchtmittelabhängigkeit oder anderen Verhaltensoriginalitäten nicht ertragen. Zudem schnarcht Herr H. nach eigener Aussage stark, was wiederum die Zimmernachbarn ein Zusammenleben mit Herrn H. sehr schwer ertragen lässt und fast zwangsläufig zu Konflikten führt. Herr H. war in der Unterkunft in Ahlem (Ahlemer Holz) in einem Container auf 10m² allein und seiner Meinung nach angemessen untergebracht. Umstrukturierungen haben dann dazu geführt, dass er sich den Container mit einem anderen Menschen teilen sollte, was für ihn aus genannten Gründen nicht ertragbar war. Daher hat er sich am 15.12.2019 entschlossen, dieser Form der Unterbringung das Leben auf der Straße vorzuziehen. Diese Situation wollte und musste er nun ändern und eine Einzelunterbringung erwirken, da unter anderem Gewalterfahrungen ihn fürchten ließen, seine bis August 2020 laufende Bewährungsstrafe aufs Spiel zu setzen.
Beim Termin am 31.3.2020 im Wohnungsamt haben wir dem Sachbearbeiter Herrn A. den gesamten Sachverhalt dargelegt. Dieser hat uns daraufhin mit dem Hinweis bedacht, dass das Wohnungsamt kein Hotelbetrieb sei und sie nur vermitteln könnten, was sie anzubieten hätten.
Begleitet wurden wir während unseres Aufenthaltes im Wohnungsamt von einem Sicherheitsmitarbeiter, welcher uns (unnötigerweise) sehr bestimmend und resolut an bestimmte Punkte führte, um die gebotenen Sicherheitsabstände einzuhalten, welche wir aber aus ureigenstem Interesse niemals in Frage gestellt hätten. Dienstleistungs- oder Kundenorientierung war weder bei diesem Sicherheitsmitarbeiter noch bei Herrn A. zu erkennen. Vielmehr machte sich bei Herrn H. und mir zunehmend das Gefühl breit, gegängelt zu werden.
Herr H. konnte letztlich keine Zuweisung bekommen, da ihm im Vorfeld nicht bekannt war, dass er dafür aktuelle Kontoauszüge der letzten drei Monate beibringen muss. Sein Rentenbescheid war hierfür nicht ausreichend und ein Nachreichen nicht möglich. So musste er dann zwei Tage später erneut das Wohnungsamt aufsuchen und bis dahin weiter auf der Straße nächtigen.
Ich habe dann direkt im Anschluss im Wohnungsamt in Vertretung für Herrn S. vorgesprochen, welcher aus gesundheitlichen Gründen nicht persönlich vorstellig werden konnte.
Exkurs
Herr S. ist am 19.03.2020 nach 11-tägiger vollstationärer Behandlung aus dem Krankenhaus entlassen worden, bei der auf Grund einer schweren Verletzung am Bein eine Hauttransplantation vorgenommen wurde. Eine fachgerechte Weiterbehandlung war nicht gewährleistet, Herr S. lebte seit der Entlassung aus dem Krankenhaus in der Notunterkunft „Alter Flughafen“. Infolge dessen hatte der Heilungsverlauf nicht wie gewünscht stattfinden können und das Transplantat war nicht angewachsen. Am 28.03.2020 ist Herr S. dann auf Grund einer Wundverschlimmerung mit dem Rettungswagen ins Clementinenhaus eingeliefert, ambulant versorgt und wieder entlassen worden. Ärztlich verordnet wurde Herrn S., dass das Bein Ruhe und Lagerung bedarf sowie einen regelmäßigen Verbandswechsel. Dies wurde am 30.03.2020 von der ärztlichen Institutsambulanz der Caritas bestätigt und die Forderung nach einer gesundheitlich bedingten Notunterbringung bescheinigt. Herr S. hatte mich beauftragt, ihn bei der Realisierung einer adäquaten Unterbringung zu unterstützen, da die Notunterkunft „Alter Flughafen“ nur am Abend bzw. nachts zugänglich ist und die Bewohner*innen diese tagsüber verlassen müssen, was die verordnete Schonung unmöglich macht.
Ich konnte mit dem Sachbearbeiter Herrn A. Einigkeit erzielen, dass eine Zuweisung dringend geboten ist. Das Problem war, dass Herr S. nicht persönlich erscheinen und so keine Unterschriften leisten konnte. Dieses Problem sollte dadurch gelöst werden, dass Herr S. die nötigen Unterschriften leistet und wir diese auf elektronischem Weg übermitteln.
Herr A. versicherte sich daraufhin bei seinem Vorgesetzten, dass dieser Weg so gangbar ist, was negativ beschieden wurde. Begründung: Die Unterkünfte könnten keine Sorge dafür tragen, dass eine angemessene Versorgung der Wunde gewährleistet ist, wenn es Herrn S. nicht einmal gelingen würde, persönlich im Wohnungsamt vorstellig zu werden.
Doch war die Sicherstellung der Versorgung in keiner Weise von Herrn S. bzw. von mir in Vertretung gefordert worden. Im Gegenteil hatten wir deutlich gemacht, dass sowohl ein möglicher Transfer in die neue Einrichtung als auch alles Weitere durch mich als Sozialarbeitender organisiert und sichergestellt würde. Der Hinweis auf diese Tatsache führte zu weiteren Diskussionen.
Der bereits oben genannte Sicherheitsmitarbeiter wurde nun deutlich harscher und kompetenzüberschreitend, als er sich – ohne Aufforderung von Herrn A. – mehrfach in das Gespräch einmischte und sagte, ich müsste das Wohnungsamt nun verlassen. Ich musste ihn sehr deutlich darauf hinweisen, dass er mit einem derartigen Verhalten seine Kompetenzen deutlich überschreiten würde und bat ihn, das Gespräch nicht weiter zu stören.
Wie diese Person, die eigentlich für die Sicherheit zuständig ist, mit Betroffenen umgeht, die alleine vorstellig werden, mag ich mir nicht vorstellen. Von meiner Seite aus war für Herrn S. bezüglich seiner Unterbringung an diesem Tag also nichts zu erreichen und er musste weiterhin im „Alten Flughafen“ nächtigen. Eine Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes war zu diesem Zeitpunkt aufgrund dieser Umstände zu befürchten.
Do 01.04.2020
Zwei Tage später hatte ich mich dann erneut mit Herrn H. am Wohnungsamt verabredet, um nun – mit allen nötigen Unterlagen – endlich seine Zuweisung für eine Einzelunterbringung zu erwirken. Parallel hatten wir bei der nachrangig zuständigen Stelle beim Fachbereich Soziales der Region Hannover einen entsprechenden Antrag gestellt und erwirkt, dass die Stelle das Ansinnen von Herrn H. unterstützt und ein entsprechendes Fax an das Wohnungsamt gesendet hatte.
Es war überraschend wenig Kund*innenverkehr beim Wohnungsamt und neben uns lediglich eine weitere Person mit ihrem Anliegen vor Ort. Dennoch wurde uns beschieden, dass Herr H. lediglich alleine Zutritt erhalten würde, was mit Corona Schutzmaßnahmen begründet wurde. Für Herrn H. war das nicht hinnehmbar, da er fürchtete, wieder nicht ernst genommen und abschätzig behandelt zu werden. Nach einigem Hin und Her sowie einem Anruf meinerseits beim zuständigen Bürgertelefon, ließ uns der Sachbearbeiter Herr P. dann doch vor, allerdings mit dem Hinweis, dass sich Herr A., bei dem wir zwei Tage zuvor vorstellig geworden waren, nicht mehr an den Vorgang erinnern könne.
Während wir mit Herrn P. im Gespräch waren, brachte sich der bereits oben mehrfach erwähnte Sicherheitsmitarbeiter wiederum kompetenzüberschreitend ein und wollte uns des Platzes verweisen. Dieses wiederholt auftretende Gebaren dieser Person ist nur eine Randnotiz, war aber dennoch unerträglich und zeigt, wie notwendig eine gewünschte Begleitung ist, wenn Betroffene sich derartigem Verhalten nicht allein aussetzen wollen. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die weiteren Sicherheitsmitarbeiter, mit denen wir zu tun hatten, freundlich und hilfsbereit waren und es sich dabei um das persönliche Profilierungsbedürfnis einer einzelnen Person handelte. Leider haben wir den Namen der betreffenden Person, im Bemühen Einlass zu bekommen, nicht erfragt.
Als wir endlich eintreten durften, mussten wir erneut das Anliegen von Herrn H. in allen Einzelheiten vortragen. Wir verwiesen dabei auch auf das Fax des Fachbereichs Soziales der Region Hannover, welches aber nicht mit Aufmerksamkeit bedacht wurde, sowie auf die Erklärung, dass Herr H. zuletzt in der Einrichtung im Ahlemer Holz untergebracht war und dies aus oben genannten Gründen für ihn nicht tragbar war. Die zuständige Sachbearbeiterin nahm alles auf und schickte uns mit dem Hinweis wieder in den Warteraum, dass sie das Anliegen an die entsprechenden Sachbearbeiter*innen weitergeben wolle mit dem Vermerk, dass eine Einzelunterbringung angezeigt sei.
Nach einer geraumen Zeit wurden wir dann wieder aufgerufen und die Sachbearbeiterin Frau M. legte uns die nötigen Dokumente vor, die zu unterschreiben wären, damit Herr H. seine Zuweisung erhielte.
Wie sich dann zeigte, war die Zuweisung ausgestellt auf die oben genannte Einrichtung im Ahlemer Holz. Eine Einzelunterbringung sei nicht möglich. Auf unseren Hinweis, dass wir nun bereits mehrfach ausführlich die Notwendigkeit einer Einzelunterbringung dargelegt und diskutiert hatten, äußerte die Sachbearbeiterin, dass sie ja nicht wissen könne, was vorher besprochen wurde. Und auch den erneuten Hinweis auf das Fax der Region Hannover quittierte sie mit Gleichgültigkeit. Herr H. lehnte die Zuweisung verständlicherweise ab und zeigte sich zunehmend desillusioniert in Bezug auf das Erwirken einer Einzelunterbringung. Ich bat Frau M., mir die Ablehnung des Ansinnens doch bitte schriftlich zu geben. Hierauf reagierte sie mit großem Unverständnis und sagte dann, sie könne mir das ja auf einen Zettel schreiben und deutete auf einen „Post It“-Block auf ihrem Schreibtisch. Die Unangemessenheit ihres Verhaltens schien ihr aber daraufhin klar zu werden und sie sagte, dass wir in diesem Fall noch einmal warten müssten während sie uns etwas fertig machen würde.
Nach einer erneuten Wartezeit erhielten wir dann ein Schreiben, in dem Herrn H. mitgeteilt wurde, dass er keinen Anspruch auf eine besondere Unterbringung hätte. Herr H. schlief vorerst weiterhin auf der Straße und hatte zwischenzeitlich keine Motivation mehr, einen erneuten Versuch zu unternehmen, um eine Einzelunterbringung auf diesem Wege zu erwirken.